Aufruf Blankenese 2016

Solidarität mit Refugees – auch in Blankenese

Von kreativen Klagen und handgreiflicher „Asylkritik“

Als im Juni 2015 der Plan der Stadt Hamburg bekannt wurde, im Björnsonweg im Stadtteil Blankenese eine Unterkunft für Geflüchtete zu bauen, formierte sich unter den Anwohner_innen schnell reger Widerstand. Das Vorhaben der Stadt, auf einer Grünfläche am Rande eines Naturschutzgebietes – in einem sogenannten Außenbereich – neun Pavillons zur Unterbringung von 192 Geflüchteten und Wohnungslosen zu bauen, war erst durch eine Änderung des Baurechts möglich geworden und drohte schon ganz zu Beginn zu scheitern. Eine Anwohner_inneninitiative hatte verlauten lassen, dass 192 Menschen die Kapazitäten des Björnsonweges sprengen würden und in gönnerhafter Manier Hilfe bei der Integration von höchstens 90 Geflüchteten angeboten. Zudem drohten Anwohner_innen die städtischen Pläne mit Klagen zu torpedieren: Die durch das geänderte Baurecht möglich gemachte Unterbringung von Asylbewerber_innen und Geflüchteten in Gewerbegebieten und sogenannten Außenbereichen – wie im Blankeneser Björnsonweg – gelte nicht für Wohnungslose. Das Bezirksamt Altona sah sich zum Einlenken gezwungen und deklarierte die geplante Unterkunft kurzerhand zur reinen Geflüchtetenunterkunft ohne die Möglichkeit der Unterbringung von Menschen ohne Obdach. Der Verweis auf die korrekte Umsetzung des Baurechts war in diesem Zusammenhang natürlich kein Selbstzweck, sondern fungierte als juristischer Hebel um das Bauvorhaben in seiner Gänze scheitern zu lassen. Einen weiteren Vorwand zur Verhinderung des Zuzugs von Geflüchteten entdeckten die „asylkritischen“ Anwohner_innen schließlich im Naturschutz: 42 Bäumen, deren Erscheinungsbild vom Bezirksamt Altona als eher unbedeutend eingestuft wurde, galt nun die Sorge der neuerdings aktivistischen Naturfreund_innen aus der Blankeneser Nachbarschaft. Im April 2016 blockierten Anwohner_innen die Zufahrt zum designierten Gelände mit etwa 20 Autos um die Baumfällarbeiten dort zu verhindern. Bereits am Tag zuvor war eine Biologin bei der Markierung und Inspektion der Bäume beleidigt und angegangen worden. Unbekannte hatten obendrein die Markierungen zur Bestimmung der zu fällenden Bäume sabotiert und wahllos 200 weitere Bäume auf dem Gelände mit Markierungen versehen.

Einen Tag nach der Blockade mit ihren Autos stoppten Anwohner_innen die Baumfällarbeiten zeitweise auf juristischem Wege mit Verweis auf das europäische Umweltrecht. Der Anwalt Rüdiger Nebelsieck, der den Eilantrag im Namen eines_r Anwohners_in stellte, war bis 2015 im Vorstand des Hamburger BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz) aktiv. Der amtierende Vorsitzende des BUND Hamburg, Manfred Braasch, sah sich daraufhin genötigt, sich von Nebelsieck und den Klagenden aus Blankenese zu distanzieren. Er äußerte, dass Naturschutzgründe oftmals nur vorgeschoben würden und Anwohner_innen geplanter Asylunterkünfte den Naturschutz für sich entdeckten, wenn man die Nachbarschaft auf diese Weise frei von Geflüchteten und Asylbewerber_innen halten könne.

Die neuerdings so umweltbewussten Anwohner_innen dementieren, es ginge um das Verhindern einer Geflüchtetenunterunft: „Es geht darum, dass die Stadt nicht machen kann, was sie will“, sagte eine Anwohnerin gegenüber dem Spiegel, denn in einem Landschaftsschutzgebiet dürfe nicht gebaut werden und sowieso seien die Gutachten des Bezirksamts falsch und die Umweltverträglichkeitsprüfungen fehlerhaft. Wie schon im Falle der Geflüchtetenunterkunft an den Sophienterrassen in Harvestehude trat eine „Überall nur nicht hier“-Mentalität an den Tag. Diese legitimierte sich zunächst durch den Verweis auf das Baurecht und später mit dem Bezug auf Naturschutzrichtlinien und war stets auf die Wahrung der politisch korrekten Fassade bedacht.

Dass der Naturschutz sowie das Baurecht aber nichts als vorgeschobene Argumente darstellen, ist offensichtlich: So sorgte sich beispielsweise die Anwohnerin Renate Krenz vor laufenden Kameras der Spiegel Online Redaktion, nachdem die Bedenken bezüglich des Wasserschutzgebietes und der Bäume heruntergeleiert waren, um die Sicherheit der Kinder und Frauen im Viertel. Sie halluzinierte ein Schreckensszenario herbei, in dem Anwohner_innen wegen der Flüchtlinge abends nicht mehr mit dem Bus fahren könnten und verwies darauf, dass man aus anderen Geflüchtetenunterkünften ja bereits wisse, dass deren Bewohner_innen viel stählen.

Zwischenzeitlich schien es nach Beschwerden der Stadt Hamburg gegen das Rodungsverbot und trotz der umfangreichen handfesten und juristischen Sabotage- bzw. Verhinderungsversuche besorgter Anwohner_innen so, dass die Asylunterkunft kommen würde. Im Juli 2016 sollten die eigentlichen Bauarbeiten der Pavillons beginnen, doch nach einem weiteren Eilantrag eines_r Anwohner_in verhängte das Verwaltungsgericht im Juni 2016 erneut einen Baustopp wegen der Verletzung von umweltrechtlichen Verfahrensvorschriften. Da die Stadt Hamburg weiterhin auf die Umsetzung des Bauvorhabens besteht, bleibt es noch immer im Rahmen des Möglichen, dass Wohnraum für Geflüchtete im Björnsonweg entstehen wird, allerdings wäre auch in diesem Falle nicht zu erwarten, dass die Schikanen und Angriffe seitens rassistischer Anwohner_innen aufhören werden; weder während der Bauarbeiten, noch nach dem Bezug der Unterkunft. Mit der rabiaten Autoblockade erhielt die Auflehnung gegen das Heim eine neue Qualität, denn anders als in Harvestehude bediente man sich nicht nur der Möglichkeit, die Unterkunft auf juristischem Wege zu verhindern, sondern nahm das Schicksal des Stadtteils aktiv und unmittelbar selbst in die Hand.

Das Gegenteil von gut, ist gut gemeint

Es gab allerdings auch Anzeichen des Widerspruchs. Der Runde Tisch gegen Rassismus in Blankenese organisierte eine Demonstration, an der sich 800 Menschen beteiligten und die sich gegen die Abschottung des Stadtteils gegenüber Geflüchteten richtete. Eine Kritik an staatlich-institutionalisiertem Rassismus, der sich beispielsweise in Form von Abschiebungen äußert, blieb leider aus. Einige Tage zuvor bereits hatte die Interventionistische Linke (IL) zu einer Fahrradtour zum Björnsonweg mobilisiert. Nachdem die Bauarbeiten von Blankeneser_innen sabotiert worden waren, wollte die IL Hamburg ein öffentliches Zeichen gegen den Baustopp setzen und praktische Solidarität mit Geflüchteten zeigen. Sie meldete kurzfristig eine Eilversammlung an und verkündete in ihrem Aufruf „Blankenese Chainsaw Massacre“ provokativ die Bäume kurzer Hand selbst zu fällen. Letzten Endes war dies ein symbolischer Akt, den ca. 50 Aktivist_innen unterstützten und es gab eine von Anwohner_innen getätigte Anzeige gegen einen Aktivisten, der symbolisch einen Baum mit der Motorsäge ansägte. Es ist erfreulich, dass es überhaupt Empörung bezüglich der Proteste gegen die Unterkunft gibt und dass die IL auf den zeitweisen Baustopp aufmerksam machte, sowie die Autoblockade skandalisierte. Den Tenor des IL-Aufrufes, der zu einem größeren Teil aus ressentimentgeladenem Spott gegenüber Reichen („Pfeffersäcke“, „Schampusgesellschaft“, „Perlenkettenclub“), als aus antirassistischer Kritik bestand, finden wir allerdings falsch, denn der Reichtum der Unterkunftsgegner_innen ist nicht das Problem.

Zu einer antirassistischen Kritik in diesem Zusammenhang gehört, auch staatlichen Rassismus zu kritisieren und sie erfordert mehr, als Menschen hauptsächlich dafür anzugreifen, dass sie reich sind. Es ist kein Zufall, dass gerne wohlhabende Menschen an den Pranger gestellt werden, denn die Kritik seitens Linker – über die IL hinaus – versteht Reiche oft als verantwortliche Schuldige an sämtlichen gesellschaftlichen Missständen.

Der gesellschaftliche Reichtum resultiert aus der abstrakten menschlichen Arbeit und ihr Produkt, die Ware, wird weltweit massenhaft produziert. Menschen werden in der heutigen kapitalistisch organisierten Gesellschaft in familiäre, ökonomische Verhältnisse rein geboren, können dafür aber nichts. Das Privateigentum ist die Grundlage kapitalistischer Produktionsverhältnisse und wird als solche vom Nationalstaat geschützt, doch in dieser kapitalistischen Realität zwingen die äußeren Verhältnisse das Individuum, auf das Recht auf Eigentum zu bestehen. Das Problem ist systemimmanent und drückt sich in realen, ungleichen gesellschaftlichen Verhältnissen aus. Müsste in der Konsequenz eine reiche Kommunistin Hab und Gut abgeben, um eine „richtige“ und „gute“ Kommunistin zu sein oder um so auf die „richtige Seite“ zu kommen? Es ist zu einfach, sich die Welt durch ein konstruiertes Gut-Böse-Bild zu erklären, in dem die Armen automatisch die Guten und die Reichen hingegen die Schlechten sind. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft, egal aus welcher Schicht ihre Vertreter_innen stammen oder ob sie einen akademischen Abschluss haben, hat eine rassistische Ideologie verinnerlicht und ist dem vermeintlich Fremden feindlich gesinnt, denn Rassismus ist ein grundlegendes Element der Konstitution der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Es werden hier unter anderem Wünsche und Verhaltensweisen, die eine_r selbst nicht ausleben kann oder darf abgespalten, auf die vermeintlichen Ausländer_innen projiziert und als negative Attribute zugeschrieben. Die Schuld an gesellschaftlichen Problemen wird von der konstruierten guten deutschen Gesellschaft auf Fremde geschoben; Stichwort Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsmigrant_innen.

Den Reichtum der Blankeneser_innen sehen wir nicht als Aufhänger unserer Kritik, sondern den Rassismus, der sich im Beharren auf den Baustopp äußert. Außerdem wollen wir intervenieren und die innerlinke Auseinandersetzung mit unserer Kritik weiterführen. Wir denken, dass wir einer sinnvollen gesellschaftlichen Veränderung in eine bessere Gesellschaft durch emanzipatorische und selbstkritische inhaltliche Auseinandersetzung näher kommen können; miteinander, aber in einigen Fällen auch gegeneinander. Wir halten eine über das Knie gebrochene Revolution und das Festhalten an dieser Revolution inhaltlich für Falsch. Dieser Wunsch bedient sich einer vereinfachten Gut-Böse-Konstruktion, doch die Realität lässt sich nicht durch eine solche Dichotomie erklären.

Es ist nicht abzustreiten, dass wohlhabende Menschen es ökonomisch in vielerlei Hinsicht einfacher haben. Trotzdem ist es eine vereinfachende Ideologie, wenn Leute aus dem „Perlenkettenclub“ für ihren Reichtum angefeindet werden. Es sollte nicht der Hass auf eine ökonomische Schicht fixiert werden, sondern statt dessen die Produktionsverhältnisse geändert und nach den Bedürfnissen der Menschen produziert werden. Es wird nicht das gesellschaftliche Verhältnis beleuchtet: Trotz ungleich verteilten Eigentums sind alle Menschen geknechtet. Alle!

Rassismus – ein deutsches Problem

In den letzten zwei Jahren war eine öffentliche Mobilisierung in die politisch rechte Richtung zu erkennen. Neben Bürger_inneninitiativen formierten sich auch rechte Parteien. Linke, grüne und konservative Wähler_innen wandten sich von ihren früheren Parteien ab und PEGIDA sowie die AfD erhielten Zuwachs.

Die Gründung der patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes im Herbst 2014 entfachte eine ganze Welle rassistischer Übergriffe. Seit den regelmäßig stattfindenden Aufmärschen hat sich die Zahl der fremdenfeindlichen Angriffe in Dresden verdreifacht. PEGIDA bietet neben rechten Konservativen, Rassist_innen, Antisemit_innen und Verschwörungstheoretiker_innen auch gewaltbereiten Neonazis einen Platz im Gewand der deutschen bürgerlichen Mitte. Am 02.03.2015 versuchten ca. 150 Nazis nach einer PEGIDA Demonstration ein Refugeeprotestcamp anzugreifen. Die Polizei verhinderte den Angriff, um das Camp am nächsten Tag selbst zu räumen. Hier zeigte sich Deutschland wieder einmal von seiner besten Seite. Es gibt unterschiedliche Formen und Facetten, in denen Rassist_innen ihre menschenverachtende Weltanschauung durchsetzen, ohne dadurch an gesellschaftlicher Akzeptanz zu verlieren.

Den Vorsitz bei PEGIDA hat seit der Gründung Lutz Bachmann inne. Gegen mehrere PEGIDA Organisator_innen sind Strafverfahren eingeleitet worden und auch Bachmann wurde im Herbst 2015 wegen Volksverhetzung angeklagt. Gegen Dan Eising, einen bekennenden Rechtsradikalen und Nürnberger Organisator eines PEGIDA-Zweiges, wurde im Oktober 2015 wegen geplanter Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte ermittelt. Insgesamt reichen die Delikte von Körperverletzung über Bedrohung bis zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. So stellen beispielsweise tätowierte SS-Runen, die für die PEGIDA-Demonstrationen üblicherweise mit Tape abgeklebt werden, keine Seltenheit dar und die politische Gesinnung der Aktivist_innen bleibt der Öffentlichkeit trotz der Verdeckung nicht verborgen.

Seit Dezember 2014 entstanden zahlreiche weitere Initiativen, die sich als Teil der PEGIDA-Bewegung verstehen: so zum Beispiel Bogida (Bonn), Dügida (Düsseldorf) und Kögida (Köln).

Die Legida in Leipzip ist verknüpft mit Politiker_innen der rechtsradikalen NPD und AfD. Neben dem bekannten Hooligan Jörg Hoyer, ist Felix Koschkar (AfD-Politiker), der auch als Rechtsanwalt für die NPD und HoGeSa (Hooligans gegen Salafisten) tätig ist, Mitbegründer der Legida. Hier ist eine deutliche Vernetzung unterschiedlicher Zusammenhänge zu vermerken. LEGIDA ist dabei kein Einzelfall. Alle Gruppierungen haben gemeinsam, Teil von rechtsradikalen Zusammenhängen zu sein, oder zumindest mit einzelnen rechtsradikalen Aktivist_innen zu kooperieren. Seien es Melanie Dittmer aus der rechtsradikalen Splitterpartei Bürgerbewegung Pro NRW, Mitglieder aus HoGeSa wie Karl-Michael für Bogida, oder AfD-Mitglied Alexander Heumann bei Dügida: Allesamt sind überzeugt braun. Bürger_innen, Berichterstatter_innen sowie Verwaltung und Polizei wissen dies.

Bundesweite Gegenreaktionen wie die Abschaltung der Beleuchtung des Kölner Domes aus Protest gegen die Kögida-Demo im Januar 2015, oder die Verdunkelung des Brandenburger Tores im selben Monat und motivierte Gegendemonstrationen sind zu begrüßen.

Diese Pegida-Bewegungen werden seitens Medien und Politik teilweise als Sprachrohr für die deutschen Bürger_innen anerkannt und teils als „bürgerliche Protestform“ behandelt.

Es stimmt, dass hinter PEGIDA deutsche Durchschnittsbürger_innen stehen. Ihren Rassismus und Antisemitismus haben sie mit den Rechtsradikalen gemein. Somit finden beide auf den Demonstrationen dieser Gruppierungen zusammen. Also warum eine künstliche Trennung zwischen „berechtigten Sorgen“ der deutschen Bürger_innen und „rechtsextremen Randerscheinungen“?

Der Trend zum offen artikulierten Rassismus zeigt sich auch in den zuletzt stattgefundenen Landtagswahlen. Am 13. März 2016 nahm die AfD nach ihrer Gründung am 6. Februar 2013 erstmalig in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an Landtagswahlen teil. Die AfD bekam in Baden-Württemberg 23 Mandate, womit die AfD über 4 Sitze mehr als die SPD verfügt. In Rheinland-Pfalz wurde die AfD mit 14 Mandaten die am drittstärksten vertretene Partei, während die Grünen 12 Mandate verloren haben. Viele der ca. 300.000 Wähler_innen, die sich von den Grünen abgewandt haben, haben sich vermutlich der AfD zugewandt. In einem Interview sagte ein ehemaliges Mitglied der Grünen, er habe aus Unzufriedenheit mit der eigenen Partei und wegen des „Flüchtligsproblems“ mehr Hoffnung in die AfD. Eigene Unzufriedenheit mündet nicht allzu selten bei den Deutschen in Xenophobie und Ausgrenzung von Minderheiten. Der Sündenbock ist immer der Andere.

Im Kontext der Schuldenkrise wird so z.B. gekonnt ausgeklammert, dass Griechenland von Deutschland wegen des Zweiten Weltkrieges berechtigterweise 280 Milliarden Euro Reparationszahlungen fordert. Deutschland fördert mit seiner Exportpolitik die Armut anderer EU-Länder, aber Schuld in deutscher Tradition die Anderen, wie z.B. die „faulen Portugiesen“ oder die „arbeitsscheuen Spanier“. Den armen Deutschen werde mit den „Massen“ an Geflüchteten, die nach Deutschland kämen unrecht getan. Man käme „gar nicht mehr hinterher“. Ob der Vertrag von Versailles damals oder die Flüchtlingspolitik heute: Die Deutschen sehen stets in sich selbst das größte Opfer.

Hier wird wieder deutlich wie nah ehemalige grüne alternative Bürger_innen der neuen rechtspopulistischen Partei AfD sind. Die Wahlergebnisse der Sitzverteilung in Sachsen-Anhalt zeigen den deutlichsten Rechtsruck der bürgerlichen Mitte. CDU, Die Linke und SPD büßten jeweils zwischen elf und fünfzehn Mandate ein. Die CDU hat die Mehrheit der Sitze, doch die AfD ist mit 25 Sitzen die zweit stärkste Partei. Die Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt war mit 61 Prozent relativ hoch. Ein Viertel der Stimmen ging an die AfD. Dies zeigt deutlich, dass die AfD mit ihren Inhalten und ihrer rechtspopulistischen Rhetorik bei der deutschen Bevölkerung ankommt. Außerdem ist festzustellen: Je größer die Wahlbeteiligung, desto mehr Rechte in den Parlamenten. – typisch Deutschland!

Nicht zu verkennen ist, dass die Flüchtlingsdebatte in den letzten Monaten eine große Rolle in den Medien spielte. Dabei sind Bürgerkrieg und Auswanderungen keine Neuerscheinungen der Jahre 2015 und 2016. Bei der Wahlpropaganda der AfD und anderen rechten Mobilisierungen werden auf bestehende Ängste und bestehende rassistische Ressentiments zurückgegriffen, um Anklang in der Gesellschaft und der Wähler_innenschaft zu finden. Die Bürgerschaftswahl in Hamburg am 15. Februar 2015 brachte der AfD mit ca. 215.000 Stimmen 8 Sitze. Auch wenn die AfD die am schwächsten vertretene Partei ist, heißt es wachsam zu bleiben und es nicht hinzunehmen, dass sich die AfD weiter etabliert. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern am 04. September dieses Jahres, bei denen die AfD mit fast 21 % der Stimmen nach der SPD als zweitstärkste Kraft abschnitt, lassen die Fortsetzung dieses besorgniserregenden Trends vermuten.

Aber nicht nur auf Demonstrationen oder im Wahlverhalten vieler Deutscher wurde in den vergangenen Monaten die rassistische Grundstimmung deutlich. Auch in ganz praktischer Gewalt entlud sich der Rassismus beispielsweise in Angriffen auf Geflüchtete und deren Unterkünfte.

Ähnlich dem Beginn der 90er Jahre als es u.a. in Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Hoyerswerda und Mölln zu schweren und teils tödlichen Angriffen deutscher Rassist_innen auf Wohnungen und Unterkünfte von als Ausländer_innen wahrgenommenen Menschen kam, haben sich in den letzten Monaten und Jahren rassistische Gewalttaten und „asylkritische“ Versammlungen vor Geflüchtetenheimen gehäuft. Laut dem BKA gab es im Jahr 2016 bisher durchschnittlich drei Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte pro Tag. Bei einem Anschlag auf eine solche in Flensburg wurden im Februar 2016 zwei Syrer durch eine ätzende Chemikalie verletzt. Einen Tag zuvor hatten etwa 100 Bürger_innen im sächsischen Clausnitz, die Anreise von 20 Geflüchteten zu ihrer neuen Unterkunft blockiert. Die im Bus sitzenden Asylbewerber_innen wurden rassistisch beleidigt und bedroht. Der Mob schrie „Wir sind das Volk“, sowie „Ausländer raus“, während die Polizei die vollkommen verängstigten Geflüchteten teils mit Gewalt aus dem Bus trieb, um sie in einer Einrichtung unterzubringen, die von einem AfD-Mitglied geleitet wird. Etwa einen Monat später versuchten Rassist_innen eine Unterkunft in Schleswig anzuzünden. Am 12. Juni 2016 feuerte im niedersächsischen Lingen ein Nachbar aus seiner Wohnung heraus mit einem Luftgewehr auf eine Geflüchtetenunterkunft, wobei eine Fünfjährige und ein 18-Jähriger verletzt wurden. Die Chronik ähnlicher Vorfälle, in denen sich die deutschen Zustände ausdrücken, umfasst hunderte weitere Ereignisse in den letzten Jahren.

Hamburgs besorgte Bürger_innen

Auch vor Hamburg macht die rassistische Mobilisierung deutscher Bürger_innen gegen Geflüchtetenunterkünfte keinen Halt. Die Vorfälle am Blankeneser Björnsonweg reihen sich in zahlreiche andere Versuche von Rassist_innen ein, die Errichtung solcher Unterkünfte in ihren Stadtteilen zu verhindern.

Als im Juli 2015 bekannt wurde, dass im Jenfelder Moorpark innerhalb weniger Tage eine Zeltunterkunft für bis zu 800 Geflüchtete entstehen sollte, schlossen sich „asylkritische“ Nachbar_innen zusammen, blockierten die Zufahrt zur Wiese auf der die Zelte errichtet werden sollten, behinderten Mitarbeiter_innen des Roten Kreuzes beim Aufbau und äußerten sich in rassistischer Weise zu den künftigen Bewohner_innen des Moorparks. In der Konsequenz musste der Aufbau in den darauf folgenden Tagen von der Polizei abgesichert werden. Medien gegenüber äußerten Anwohner_innen ihren Unmut darüber, in die rechte Ecke gestellt worden zu sein. Man habe sich nur von der Politik überrumpelt gefühlt und die Unterbringung von Geflüchteten in Zelten für menschenunwürdig gehalten. Wenige Tage später bezogen Geflüchtete die Zeltstadt, in der tatsächlich solch menschenunwürdige Zustände herrschten, dass einige Bewohner_innen damit drohten ihre Zelte anzuzünden. Doch diese Missstände der Unterbringung, dürfen nicht dazu instrumentalisiert werden, um den Geflüchteten die letzte Unterkunft zu nehmen.

Eine weitere besonders medienwirksame Auseinandersetzung um ein Geflüchtetenheim fand im wohlhabenden Stadtteil Harvestehude statt. Schon als der Senat im Jahr 2013 das Bauvorhaben für eine Asyleinrichtung an den Sophienterrassen bekannt gab, formierte sich unter Anwohner_innen eine Opposition gegen die Pläne der Stadt, gegen die man schließlich klagte. Formal ging es hierbei um die Nichteinhaltung von Bauvorschriften. Im medialen Diskurs um die Unterkunft und die Klage schimmerten allerdings stets durch Unterkunftsgegner_innen getätigte rassistische Aussagen durch: Die Geflüchteten würden nicht in den Stadtteil passen, denn sie würden über keinerlei angemessene Etikette verfügen und seien potenziell kriminell. Auf paternalistische Art und Weise wurde obendrein die Sorge geäußert, die Unterbringung in Harvestehude sei nicht im Interesse der Geflüchteten, da diese sich das Leben im teuren Stadtteil gar nicht leisten könnten. Mittlerweile wird die Sophienterrasse 1a von ca. 190 Geflüchteten bewohnt, die im Januar 2016 einzogen.

Die zunächst erfolgreiche Klage in Harvestehude hatte eine Welle von Klagen in Hamburg und dem ganzen Bundesgebiet zur Folge. Das Verwaltungsgericht war u.a. mit Klagen aus den Stadtteilen Lemsahl-Mellingstedt, Klein-Borstel und Niendorf beschäftigt. Wie die MoPo berichtete, hätten im Dezember 2015 etwa 20.000 Plätze in Asylunterkünften in Hamburg auf der Kippe gestanden, da Anwohner_innen juristisch gegen Unterkünfte in der eigenen Nachbarschaft vorgingen. Im Januar 2016 haben sich sieben Bürgerinitiativen gegen Geflüchtetenunterkünfte in Hamburg in einem Dachverband zusammen geschlossen. Mittlerweile vertritt der Verband mit dem Namen „Initiativen für erfolgreiche Integration Hamburg“ 13 lokale Initiativen von Poppenbüttel, über Eppendorf und Lokstedt bis Neugraben-Fischbek, die gegen die Einrichtung von Asylunterkünften in ihren jeweiligen Stadtteilen vorgehen.

Der Tenor, der dem Schaffen sämtlicher dieser Initiativen – egal ob im reichen Viertel im Stadtzentrum oder im Randbezirk – zugrunde liegt, ist der, dass Flüchtlinge generell willkommen seien, aber eben nicht im eigenen Viertel. Die rassistische Motivation für die Ablehnung einer Geflüchtetenunterkunft im eigenen Stadtviertel wird durch die paternalistische, aber politisch korrekte Sorge um die erfolgreiche Integration oder das Wohlbefinden der Flüchtlinge in den Unterkünften bzw. im eigenen Viertel verschleiert. Selbstverständlich ist es nicht im Sinne der Geflüchteten, dass die Integrationspolitik des Senates, die Unterbringung von Asylsuchenden in Großunterkünften vorsieht. Diese mit Klagen zu gefährden ist im Hinblick darauf, dass zahlreiche Menschen durch Krieg, Armut oder Hungersnöte zur Flucht gezwungen werden, allerdings geradezu zynisch. In der expliziten Ausladung von NPD- oder PEGIDA-Anhänger_innen – wie es sie z.B. im Vorfeld einer Demonstration gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Neugraben-Fischbek gab – hat man zudem ein antirassistisches Feigenblatt gefunden, welches die Auseinandersetzung mit Rassismus in den eigenen Reihen erspart.

Solidarität muss praktisch werden

Angesichts des andauernden Bürgerkrieges in Syrien, sowie zahlreichen anderen kriegerischen Auseinandersetzungen, Hunger oder politischer Verfolgung in weiten Teilen der Welt, ist ein Ende der Notwendigkeit der Bereitstellung von Wohnraum für Geflüchtete in den nächsten Jahren nicht absehbar. Auch der Hamburger Senat will noch in diesem Jahr zahlreiche Unterkünfte fertig stellen und plant für 2017 beispielsweise die Errichtung einer Unterkunft in Farmsen. Da auch eine Zunahme der Aufgeschlossenheit deutscher Bürger_innen gegenüber Geflüchtetenunterkünften in der eigenen Nachbarschaft in den nächsten Jahren nicht zu erwarten ist, heißt es aus antifaschistischer Perspektive wachsam zu bleiben. Blankenese ist nur ein Ort der Auseinandersetzung um eine Geflüchtetenunterkunft, genauso gilt es sich auch an anderen Orten für Schutz und Solidarität mit Geflüchteten einzusetzen. Aus rassismuskritischer Sicht muss es weiterhin heißen für die Rechte von Geflüchteten zu streiten, so dass diese bald nicht mehr in Heimen wohnen müssen, sondern an dem Ort, mit den Menschen und auf die Art und Weise, wie sie es selbst wollen.

Wir fordern die Anwohner_innen an der zukünftigen Unterkunft in Blankenese auf, ihr Schweigen zu brechen, sowie klar gegen Rassismus und für den Bau der Geflüchtetenunterkunft in ihrer Nachbarschaft einzutreten. Von der Stadt fordern wir weiterhin auf die Entstehung der Unterkunft zu bestehen und von den Gerichten den Weg dafür frei zu machen. Allen Rassist_innen, egal ob arm oder reich, sagen wir den Kampf an. Wir akzeptieren keinen Rassismus, Antisemitismus und keine menschenverachtenden Weltanschauungen. Wir möchten an die Öffentlichkeit treten, um die Probleme der Ausgrenzung und des Rassismus, die in Deutschland keine Neuerscheinungen sind, zu bekämpfen. Wir fordern von den Anwohner_innen einen respektvollen Umgang mit den zukünftigen Nachbar_innen in der Flüchtlingsunterkunft im Björnsonweg.

Es ist falsch anzunehmen, Rassismus sei ein Problem am Rande der Gesellschaft. In der postnationalsozialistischen Gesellschaft muss eine stetige Auseinandersetzung mit rassistischer, antisemitischer und menschenverachtender Ideologie betrieben werden. Wir fordern den Stopp sämtlicher Abschiebungen und eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten. Frontex raus! Grenzen auf! Refugees Welcome – in Blankenese und überall!

Also rufen wir dazu auf, gemeinsam am 17.09.2016 um 14 Uhr am S-Bahnhof Blankenese auf die Straße zu gehen und Solidarität mit all denen zu zeigen, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland kommen – aus welchen Gründen auch immer!